Ich habe es wirklich getan.
Ich habe den Großteil meiner Sachen weggegeben, ein One-Way Ticket gebucht und schneller als ich es wirklich begreifen konnte, saß ich auch schon im Flieger nach Edinburgh.
Meine Mutter erzählte mir mal, dass ich vier Jahre alt war, als ich beschloss nach Irland auszuwandern. Seitdem ist meine Faszination für die britischen Inseln dank zahlreicher besuche und nicht zuletzt auch wegen eines gewissen Zauberschülers, immer mehr gewachsen. Meine auserkorene Wahlheimat wechselte stetig zwischen London und einem Cottage an der irischen Küste, je nach Laune.
Im August 2014 fand ich dann den perfekten Kompromiss.
Natürlich wollte ich nach bestandenem Abitur reisen, ins Ausland, das es der regnerische Inselteil von Europa werden soll war natürlich auch klar, allerdings mangelte es doch etwas an Motivation und auch Mut.
Glücklicherweise fragte mich meine Freundin Janika, ob ich mit ihr einen Monat nach Schottland will, als Volunteer für den Scottish Wildlife Trust arbeiten. Ich muss zugeben, Schottland hatte ich nie wirklich auf dem Radar. Natürlich wollte ich dort irgendwann mal hin, aber es war niemals wirklich präsent.
Ich habe mich dann in der Sekunde verliebt, in der ich das erste mal auf der Princes Street stand und hinauf zum Old Town gesehen habe. Und in dem Monat, den ich in Schottland verbracht habe, habe ich mich immer mehr verliebt in die Natur, die Mentalität und die grau- braunen Steinhäuser.
Für mich war klar, ich wollte zurück. Für mich wahr es mehr, als „Urlaubsfeeling“, welches ich etwas länger genießen will. Ich habe mich wohl gefühlt, egal ob ich in der Nachmittagsonne über den Grassmarket geschlendert bin, oder morgens um 7 im Regen auf den Bus gewartet habe um zur Arbeit zu kommen.
Ich war unzufrieden in Deutschland. Ich war unruhig, ich trat auf der Stelle. Und doch blieb ich, da ich jemand kennen gelernt hatte. Und ich war glücklich mit ihm. Ich blieb gerne, er war wie ein Anker, wie ein Stück Heimat was ich davor nicht besessen hatte, was mir etwas Stabilität und innere Zufriedenheit gab. Mein Charakter, meine Persönlichkeit ist in diesen zwei Jahren sehr gewachsen, ich habe mich stark verändert. Ich bin viel selbstbewusster, zielstrebiger und erwachsener geworden.
Doch der Wunsch im Ausland zu leben hatte mich nie gänzlich verlassen. Und mein stärkeres Ich entschied an einem Novembermorgen, dass nun der perfekte Zeitpunkt gekommen war, um zu gehen. Ich war an einem Punkt, wo ich nichts wirklich hinter mir lassen musste, außer ein paar Umzugskisten mit Töpfen und natürlich meine Familie und Freunde. Aber ich hatte kein gefestigtes Leben mit Beruf, Wohnung und Hund, welches ich stoppen musste. Und doch war es auch keine Flucht. Ich erwartete in UK nie ein besseres oder einfacheres Leben, ehr im Gegenteil, aber ein anderes. Eines, das mich mehr reizte und anscheinend besser zu mir passte.
Und nun bin ich seit fast 4 Wochen hier, sitze auf dem Sofa, trinke Earl Grey mit a wee bit of milk und schaue raus auf Leith Links, dem Park wo das Golfen erfunden wurde. Und ich könnte kaum glücklicher sein.
Edinburgh vereint so ziemlich alles, was ich liebe. Es ist eine Großstadt mit vielen Geschäften, Pubs, Bars, Clubs, Theatern und Museen. Viele junge Menschen, Kunst, Kultur und Nightlife, jeden Tag und Abend ist etwas anderes los.
Und dennoch ist es überschaubar. Die Stadt ist offen und hell, man hat nie das Gefühl zwischen Beton und Menschenmassen eingesperrt zu sein. Fast die gesamte Stadt besteht aus alten, grau- braunen Steinhäusern, man hat immer etwas neues zu entdecken. Die Luft ist frisch, auf der einen Seite erheben sich die Berge, auf der anderen ist das Meer, überall Parks, Bäume, Gewässer und Grünflächen.
Ich liebe es, durch die Straßen zu laufen, die abwechselnd Kopfsteinpflaster und aufgeplatzter Asphalt sind, die bunten Holzschilder über den Geschäften zu lesen und die Stadt zu erkunden. Neben alten Pubs sind neue, ausgefallene Cafés, die Doppeldeckerbusse rumpeln vorbei und einige Trainspotting Klischees werden mit zahnlosen, betrunkenen Schotten zur Mittagszeit auch erfüllt.
Man könnte denken, es ist der Reiz des neuen und natürlich stimmt dies auch zum Teil, und doch kommt mir alles so vertraut vor, als ob ich hier aufgewachsen wäre. Ich weiß nicht was es ist, ein früheres Leben, Einbildung oder das viele Teein, aber ich fühle mich heimisch.
Natürlich vermisse ich auch einige Dinge aus Deutschland, allen voran DM und Balea, danach meine Familie und Freunde, die eine Luftbrücke für Haaröl und Wattepads eingerichtet haben, weil Boots und Superdrug wirklich zu wünschen übrig lassen. Aber mein Lieblings Haferdrink ist hier ständig im Angebot, also weiterer Pluspunkt für U.K.
Zwei Dinge haben mir dann doch etwas zu schaffen gemacht. Mein Hund starb zwei Wochen nachdem ich weg war. Er war wirklich sehr alt, ich habe auch damit gerechnet und meine Mutter hat mir versichert, dass er friedlich eingeschlafen ist, dennoch ist es ein sehr beklemmendes Gefühl. Er war 17 Jahre an meiner Seite und nun ist er nicht mehr da. Er war definitiv ein Familienmitglied und ich vermisse sein tapsen auf den Fliesen und sein struppiges Fell sehr. Es ist komisch zu wissen, dass man irgendwann nach Hause kommt und er liegt nicht vor der Tür. Kein bellen, niemand der nach dem rechten sieht.
Da alles schlimme natürlich immer auf einmal passiert, entschied noch jemand aus meinem Leben zu gehen. Nicht ganz, aber doch genug um mir einen Stein in den Magen zu legen. Die Erinnerungen an uns waren für mich wie eine warme Decke für die doch einsamen Nächte hier, nun sind sie zu etwas schmerzhaftem geworden. Ich bin froh, dass ich hier so viel zu tun und erleben habe. In Deutschland hätte es mir wahrscheinlich komplett den Boden unter den Füßen weggerissen. Nun erscheint doch alles etwas surreal.
Über spezielle Erlebnisse kann ich euch noch nicht wirklich berichten. Ich lebe in einer sehr netten Familie mit zwei kleinen Kindern und helfe der Mutter, also quasi als Au-Pair. Diese Möglichkeit bot sich mir dank der Seite Workaway, wo man Volunteer Arbeit auf der ganzen Welt finden kann. #notsponsored
Für mich war diese Seite DIE Rettung, weil auswandern ohne Job und ohne Ersparnisse, ist dann doch ehr RTL II Niveau. (Zumindest spreche ich die Sprache. Ok Englisch, das schottische Gebabbel könnte auch chinesisch oder eine Fantasie Sprache sein, ich verstehe es nicht. Nichtmal Engländer verstehen Schotten). Natürlich kenne ich Leute, die mit einem Rucksack nach London oder Australien sind und dort direkt super zurecht kamen, einen Job und Wohnung innerhalb einer Woche gefunden haben, aber ich bin lieber abgesichert. Auch wenn ich mich weiter entwickelt habe, bin ich einfach eine ehr zurückhaltende, stille Person und ich glaube ohne alles wäre ich doch recht verloren und das Projekt zum scheitern verurteilt. Aber nun habe ich fürs erste ein Zimmer, jede Menge Essen und die Möglichkeit mich einzugewöhnen und Kontakte zu knüpfen. Was hervorragend funktioniert, ich habe schon Leute in der hiesigen Fotoszene kennen gelernt und auch Menschen, die mir Jobtechnisch weiter helfen können. Das Telefonat für meine National Insurance Number habe ich auch hinter mir, es steht mir allerdings noch ein Interview bevor. Ich muss mir noch einen besseren Grund für meinen Aufenthalt hier einfallen lassen als: „Leben und Arbeiten, mal gucken was auf mich zukommt“.
Natürlich ist auf Kinder aufpassen recht zeitintensiv, dennoch war ich schon in Pubs, viel unterwegs und habe sogar einen spontanen Bluegrass Gig im Wohnzimmer eines 60 Jährigen beigewohnt.
Das Leben hier ist bis jetzt wie ich es mir vorgestellt habe. Gemütlich, befreiend, nie langweilig und voller Entdeckungen und Abenteuer.
Beau Cyphre 1. Mai 2017
Sehr spannender und interessanter Blog über deinen Start in Edinburgh mit wunderschönen Bildern! Ich finde dich ja verdammt mutig, denn so einen Schritt muss man erstmal machen. Danke fürs Teilen deiner Erfahrungen!